BVerfG-Urteil: Was wird sich ändern?

Studienplatzvergabe in Medizin teilweise verfassungswidrig – Was wird sich ändern?

Am 19. Dezember 2017 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die aktuelle Medizinstudienplatzvergabe für teilweise verfassungswidrig erklärt. Demnach ist das aktuelle Verfahren nicht mit dem Grundsatz der freien Berufswahl vereinbar.

Direkt wird sich dadurch allerdings noch nichts ändern. Stattdessen hat das Gericht einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2019 gewährt, bis zu spätestens dessen Ende die Länder neue bzw. angepasste Vergabevorschriften erlassen haben müssen. Was im Bewerbungsverfahren dann konkret angepasst werden muss, erläutert euch dieser Blogbeitrag.

 

Kein grundlegend neues Verfahren notwendig

Auch wenn durch einzelne Medienberichte etwas anderes vermittelt zu werden scheint, erachtet das Bundesverfassungsgericht das aktuelle Bewerbungsverfahren und die Aufteilung in die drei Quoten für grundsätzlich zulässig. Im Kern sind nur einzelne Anpassungen gefordert, nicht dagegen ein grundlegend neues Verfahren. Aber natürlich stünde es dem Gesetzgeber grundsätzlich frei, eine weitaus grundlegendere Reform bei diesem Anlass vorzunehmen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es für eine genauere Einschätzung des zukünftigen Verfahrens auf jeden Fall noch zu früh.

 

Die Kritikpunkte des Urteils im Einzelnen:

Abiturbestenquote

Die Vergabe von 20 Prozent der Studienplätze rein anhand der Abiturnote beanstandet das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht. Denn mögliche Unterschiede zwischen dem Abitur in verschiedenen Bundesländern werden ausreichend durch die Bildung von Landesquoten berücksichtigt.

Unzulässig ist jedoch die Beschränkung auf lediglich sechs Ortswunschmöglichkeiten im Bewerbungsverfahren auf hochschulstart.de. Eine Beschränkung sei insbesondere schwierig, weil sich die örtliche Nachfrage bei der Bewerbung nicht ausreichend vorhersehen lässt. In Zukunft müssten die Zulassungschancen von Bewerbern über die Abiturbestenquote also automatisch an allen möglichen Universitäten geprüft werden.

Auswahlverfahren der Hochschulen

Im Auswahlverfahren der Hochschulen (AdH) müssen sich fünf Punkte ändern

1. Kein eigenes Kriterieneinführungsrecht

Die Universitäten dürfen nicht weiterhin eigene Auswahlkriterien “erfinden”. Weil die Auswahlkriterien bei der Studienplatzvergabe eine so bedeutende Rolle spielen, müssen diese in Zukunft durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst bestimmt werden. Dabei darf der Gesetzgeber den Hochschulen allerdings einen gewissen Spielraum lassen, da diese näher mit dem Bewerbungsverfahren vertraut sind.

Nur hamburgische und bayerische Landesgesetze werden vom BVerfG beanstandet. Allerdings verfügen die Universitäten in diesen Bundesländern nicht über besonders “exotische” Kriterien. Außer der Änderung der entsprechenden Landesgesetze dürften die Auswirkungen dieses Teils des Urteils also nur eher gering sein.

2. Transparentere eigene Eignungsprüfungen

Grundsätzlich ist die Durchführung eigener Eignungsprüfungen den Hochschulen auch weiterhin möglich (Stichwort: “Spielraum”). Allerdings muss es gesetzliche Sicherungen dafür geben, dass die Prüfungen in standardisierten und strukturierten Verfahren erfolgen.

Betroffen von diesem Teil des Urteils sind die Hochschulen mit eigenen Auswahlverfahren. Während der Ham-Nat mit drei Universitäten wohl noch eher als standardisiert gelten dürfte, könnten die individuellen Verfahren wie zum Beispiel in Göttingen oder Dresden anzupassen und transparenter zu gestalten bzw. zumindest klarere Maßstäbe für die Auswahl im vorhinein festzulegen sein.

3. Rangkriterium Vorauswahl bis bestimmter Ortspräferenz grundsätzlich unzulässig

Zwar erachtet das Bundesverfassungsgericht die Beschränkung auf sechs Ortspräferenzen im Auswahlverfahren der Hochschulen für zulässig. Es beanstandet dagegen das System, dass manche Universitäten nur eine Vorauswahl bis zu einer gewissen Ortspräferenz vornehmen (die „hochnäsigen“ Universitäten). Denn ein solches Vorgehen vermindere die Chancen erheblich, ohne sachlich gerechtfertigt zu sein.

Dieser Teil des Urteils wird sich in der Praxis wahrscheinlich recht deutlich auswirken. Universitäten wie die Charitè Berlin oder die Universität Heidelberg, die Kandidaten nur bei Nennung an erster Stelle berücksichtigen, werden dieses Vorgehen ändern müssen.

4. Abiturnotenschnitt: Problem ist länderübergreifende Vergleichbarkeit

Im Gegensatz zur Abiturbestenquote findet im AdH-Verfahren kein Ausgleich für ein Abitur aus verschiedenen Bundesländern statt. Dies kreidet das Bundesverfassungsgericht den Universitäten an, da es die Abiturnoten in verschiedenen Bundesländern nicht als unmittelbar vergleichbar ansieht. Abhilfe könnte insoweit nämlich auch relativ einfach durch Ausgleichsmechanismen geschaffen werden.

In diesem Fall bleibt spannend, wie sich dieser Teil der Entscheidung auf die Praxis auswirken wird. Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts klingt fast danach, als ob es – wie früher üblich – einen Länderbonus bevorzugen würde (früher gab es z.B. einen Bayern- bzw. Baden-Württemberg-Bonus).

5. Im AdH keine Auswahl nur nach Abiturnotenschnitt

Schließlich versagt das Bundesverfassungsgericht den Universitäten die reine Berufung auf die Abiturnote im AdH-Verfahren, wie es zum Beispiel derzeit an den Universitäten Aachen und Bonn der Fall ist (die „Puristen“). Denn jenseits der Abiturbestenquote müssen zusätzliche Kriterien zur Feststellung der Eignung von Bewerbern hinzutreten.

Auch dies wird zwangsläufig zu Änderungen der Auswahlkriterien der entsprechenden Universitäten führen. Gut vorstellbar ist dabei, dass der Medizinertest (TMS) und Berufsausbildungen somit an noch mehr Universitäten Berücksichtigung finden werden.

Wartezeitenquote

Grundsätzlich ist nach dem Bundesverfassungsgericht eine Wartezeitenquote zulässig. Allerdings ist die derzeitige Ausgestaltung verfassungswidrig, weil es an der Begrenzung der Wartezeit auf einen angemessenen Zeitraum fehlt. Die maximale Wartezeit müsse von vornherein ersichtlich sein.

 
Es bleibt spannend, wie sich die Vergabepraxis nun ändern wird. Falls ihr Interesse am vollständigen Urteil habt, findet ihr es unter diesem Link.

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